Die Nixe von Seekirchen

Am grünen Ufer des Seekirchner Sees stand einst auf mosigem Gestein ein Jüngling und beobachtete, in tiefe Träumerei versunken, das Spiel der Wellen. Der Wind Kräuselte seine Locken und leise bespülte die grüne Flut seinen Fuß. Sein Gesicht bekundete tiefe Trauer, die auch in einem Liede Ausdruck fand, das jetzt seiner gequälten Brust entstieg; er sang von Liebe und Sehnsuchtsweh so ergreifend und wonnesam, daß selbst die Blumen seinem Sange zu lauschen schienen und die Wellen ruhten, als wollten sie ihn durch ihr Gemurmel nicht stören und die Vögelein setzten sich ihm zu Füßen.

Da plötzlich teilte sich die Flut und ihr entstieg in wunderbarer Schönheit ein Frauenbild, wie herrlicher noch keines Menschen Auges es erblickt. Auf dem schneeigen Nacken ruhte ein Haupt, lockenbekränzt, mit Perlen geschmückt, von bestrickendem Zauber umwoben. Zwei Augensterne leuchteten dem Jüngling entgegen in magischen Feuer und von Korallenlippen tönte es an sein Ohr: „Du holder Knabe von Jugendlust und Liebe, o komm und ruhe an meiner hochklopfenden Brust! Im See ist mein Reich, mein kristallenes Schloß, dahin will ich dich geleiten, o folge mir! An meinem Busen sollst du ruhen und süße Wonnen Fühlen, wie sie noch keinem Sterblichen zuteil wurden. Laß uns vereint ein Glück genießen, das dir die Erde nimmer zu bieten vermag.“

Da erfaßte den Jüngling ein heißes Verlangen; seine Augen erglänzten in verzehrendem Feuer; seine Pulse schlugen höher und wie mit Zaubermacht zog‘ s ihn zur Nixe hin. Er sank mit ihr hinab in die grünen Tiefen des Sees und ward nicht mehr gesehen.

Klagend verhallte des Jünglings Gesang, mit dem er von den Lebenden schied. Und traurig neigten die Blümlein ihr Haupt. Die Wellen aber flüsterten sich geheimnisvoll zu, was sie in ihrem Schoße verbargen.

Von Zeit zu Zeit aber ertönen heiße Liebeslieder aus dem See und geben Zeugnis von den Wonnen, welche der Jüngling in den Armen der Nixe gefunden.

Quelle: Karl Adrian, Alte Sagen aus dem Salzburger Land, Wien, Zell am See, St. Gallen, 1948, S. 141 – 142